Scheinklimaschutz

»Wir tun nur so, als ob uns Klimaschutz wichtig ist«


Ausgabe:

03 // New Work

Kategorie:

Kritisch betrachtet

Autor:

© Anna Pirato

Reinhard Steurer

ist assoz. Professor für Klimapolitik
an der Universität für Bodenkultur
(BOKU) Wien. Er beschäftigt sich
seit 25 Jahren mit der politischen
Dimension der Klimakrise.

Interview: Michael Girkinger


Gespräch mit Reinhard Steurer // Assoziierter Professor für Klimapolitik an der BOKU Wien

Trotz 30 Jahren Klimapolitik eskaliert die Klimakrise immer weiter. Weil wir nur Scheinklimaschutz machen, kritisiert Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Boku Wien. 

Wie lange haben wir noch Zeit für einen wirkungsvollen Klimaschutz?

Zehn bis 15 Jahre. Wir haben noch die Wahl zwischen einer halbwegs stabilen Situation – mit mehr Wetterextremen, die wir jetzt schon kennen – oder einer großen Katastrophe, wenn die Emissionen nicht zurückgehen. In diese Richtung läuft es im Moment. Das wahrscheinlichste Szenario ist deshalb, dass wir über den Kollaps unserer Zivilisation, wie wir sie kennen, in diesem Jahrhundert reden müssen. 

Sie bezeichnen die Klimapolitik in Österreich als Scheinklimapolitik. Warum? 

Bis 2020 gab es im Grunde nur Scheinklimaschutz. Bis dahin haben wir nur so getan, als ob uns der Schutz des Klimas wichtig wäre, während die Emissionen auf dem Niveau von 1990 blieben. Seit 2020 ist es besser geworden. Aber trotzdem sehe ich viel Scheinklimaschutz, wenn wir z. B. sagen, wir wollen bis 2040 klimaneutral werden, aber nicht bereit sind, dafür das Notwendige zu tun. Die Emissionen müssten dafür jedes Jahr um fünf bis sechs Prozent zurückgehen. Davon sind wir weit entfernt. Damit wird es jedes Jahr noch schwieriger, dieses Ziel zu erreichen. 

Klimaschutz wird stark in den Alltag der Menschen eingreifen. Die meisten wollen allerdings so weiter machen wie bisher. 

Das wird nicht funktionieren

Reinhard Steurer

Warum tun wir uns mit dem Klimaschutz in der Praxis so schwer?

Weil unser Lebensstil komplett auf fossilen Energien aufbaut. 70 Prozent unseres Energiebedarfs werden von fossilen Energien abgedeckt. Das umzustellen bedeutet eine Revolution, die alle Bereiche der Gesellschaft betrifft. Bis jetzt haben wir so getan, als wären wir gut unterwegs. Aber jetzt wird es ernst. Öl- und Gasheizungen müssen raus. Wir müssen die Mobilität neu denken. Und viele andere Dinge. All das wird stark in den Alltag der Menschen eingreifen. Die meisten wollen allerdings so weiter machen wie bisher. 

Was ist notwendig, um bis 2040 oder 2050 klimaneutral zu werden?

Alle mächtigen Akteure müssten an einem Strang ziehen und wir würden ein Bündel an Maßnahmen brauchen, die nicht nur Förderungen und Innovationen umfassen, sondern auch Verbote. Es gibt eine Regierungspartei, die glaubt, es geht ohne Verbote. Das ist eine Illusion. Wir haben das 30 Jahre lang versucht und bewiesen, dass es nicht geht. Und dann brauchen wir auch noch eine Mehrheit in der Bevölkerung, die sagt: Wir machen ernst, wir wählen den Scheinklimaschutz ab. Die Mehrheit gibt es nach wie vor nicht. Wir haben zwar eine Mehrheit, die sagt, Klimaschutz ist uns wichtig. Aber wenn es ernst wird, z. B. Tempo 100, dann wollen die meisten nichts mehr davon wissen. Das ist eine Farce. Wir tun nur so als ob es uns wichtig ist.


Titelbild: Anna Pirato

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