Wie ich mich beruflich neu erfunden habe
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Ingeborg Hofbauer ist 63 und blickt auf ihren beruflichen Lebensweg zurück. Ein unternehmerisches Leben mit Veränderungen, Brüchen und Neuausrichtungen. Welche Erkenntnisse hat sie daraus mitgenommen?
Als Unternehmenstochter aufgewachsen, bin ich bereits früh mit dem Unternehmer-Dasein vertraut geworden. Nach meiner Ausbildung Pflichtschule, Handelsschule, berufsbegleitendes Abendgymnasium mit Matura, war ich zunächst mehrere Jahre Angestellte in verschiedenen Steuerberatungskanzleien. Mit 26 Jahren stieg ich in den Familienbetrieb ein, ein Holzbauunternehmen mit 35 Mitarbeiter:innen, und führte dieses 15 Jahre als geschäftsführende Gesellschafterin.
Veränderungen, Krisen, Neuausrichtungen
Ich wollte den bis dahin traditionellen Holzbaubetrieb weiterentwickeln. Über ein Fernstudium in Deutschland legte ich an der Universität Krems 1995 die Diplomprüfung zur Baubiologin-IBO ab und positionierte fortan den Betrieb mit Schwerpunkt biologisches Bauen und Wohnen. Damals wurden wir noch als alternative »Spinner« kritisiert. Dann kam der Formaldehyd-Skandal und viele Baustoffe, Farben, Lacke und Bindemittel waren als krebserregend in Verruf geraten. Kritiker:innen wurden plötzlich zu Kund:innen. Krisen waren ein permanenter Begleiter. Einerseits geriet die Baubranche in regelmäßigen Abständen in die Krise, andererseits gab es unternehmerische Krisen aufgrund von Forderungsausfällen und unrentablen Baustellen.
Ich kehrte zurück zur Kernfrage: Wie kann ich mit meinem Tun die Welt ein Stück besser machen?
Ingeborg Hofbauer
Steckt man in einer Krise und sind andere Menschen (Mitarbeitende) davon mitbetroffen, bleibt einem nichts anderes übrig als Lösungen zu finden. Als Beispiel nenne ich hier die Flucht nach vorne. In einer Baukrise schockierte ich die Hausbank, die uns plötzlich Kredite fällig stellen wollte, damit, dass ich einem Konkurs zustimme. Damit hätte die Bank am meisten verloren, wir Gesellschafter nur unsere Einlage. Meine Kaltschnäuzigkeit brachte mir ein Jahr Aufschub und am Ende schrieben wir tatsächlich wieder stabile Zahlen. Fokus, Mut und Kampfgeist halfen mir. Was geschah? Ich überzeugte einen Wiener Stararchitekten von unserer steirischen Handwerkskunst. Es folgte der Einstieg in die Welt hochbetuchter Privatkund:innen. Der Fokus auf Altholz, alte Handwerkskunst, Baubiologie und Nachhaltigkeit hat uns gerettet und die Firma lebt das bis heute, obwohl ich schon lange nicht mehr dabei bin.
Entscheidungen treffen
Nach 18 Jahren in der Baubranche bekam ich die Chance, ins internationale Trainingsgeschäft einzusteigen. Mit 42 Jahren geschieden, zwei Teenagersöhnen und einer Menge Schulden aus meiner Scheidung. Entgegen aller Vernunft stürzte ich mich in das Neue und ergriff diese Chance, mich beruflich, aber auch persönlich weiterentwickeln zu können. Ich verkaufte die Anteile an der Baufirma und gründete mit einem Partner ein Beratungsunternehmen in Graz. Ausbildungen zum Coach, zur Trainerin und zur CSR-Managerin begleiteten diese fundamentale Veränderung. Wir spezialisierten uns auf Verkaufs-, Service- und Führungsthemen.
Meine Eltern unterstützten mich mit meinen Söhnen. Ich, das Landei, fand sich plötzlich in der Konzernwelt wieder.
Mein Wachstum
In diesen Jahren entwickelte ich mich auch innerlich weiter. Ich ging den Jakobsweg in Spanien. Diese Erfahrung hatte einen nachhaltigen Einfluss auf meine Werte und damit verbunden auf meine Entscheidungen. Neben meinem stressigen Beruf machte ich die Ausbildung zur Wander- und Pilgerbegleiterin. In dieser Zeit entstanden meine ersten Bücher. Für mich stand immer fest: Wirtschaft muss den Menschen dienen, nicht umgekehrt. Leider konnte ich dies in meiner Arbeit nicht erleben. Gewinnmaximierung, Produktivitätssteigerung und endloses Wachstum waren das sich ständig wiederholende Mantra. Mit 55 Jahren hatte ich genug davon.
Ich besann mich wieder meiner Wurzeln und kehrte zurück zur Kernfrage: Wie kann ich mit meinem Tun die Welt ein Stück besser machen?
Ich stieg aus der gemeinsamen Firma aus und hatte von einem Tag auf den anderen keinen Auftrag mehr. In der ersten Zeit hielt ich mich als Wanderführerin, Reiseleiterin und mit Coachingaufträgen über Wasser. Doch ich war glücklich, denn ich tat das, was ich mit meinen Werten vereinbaren konnte, und ich konnte meine zunehmend pflegebedürftigen Eltern unterstützen. Langsam kamen Aufträge, die zu mir passten. Vertiefend zu meiner biografischen Reise machte ich die Ausbildung zur Biografiearbeit.
Fazit: Alles, was man im Leben macht, erfährt und erlernt (auch Hobbies) trägt zum persönlichen Kompetenzgewinn bei und kann der Funken zu einer neuen Geschäftsidee sein.
Mein Rat für Selbstständige
Was ich mitgeben möchte, ist, sich immer wieder Raum, Zeit und Stille zu schenken, um in einen inneren Dialog treten zu können. Werte und Tun auf den Prüfstand zu stellen und auf die Stimme des Herzens hören. Danach in einen äußeren Dialog, vielleicht auch mit professioneller Begleitung, zu treten, um gemeinsam zu reflektieren. Man muss sich mit der Welt mitentwickeln und sich immer wieder neu erfinden. Dabei eher auf Philosoph:innen hören als auf Wirtschaftsforscher:innen. Eine starke und überzeugende individuelle Persönlichkeit und Marke entwickeln, die von Kund:innen wahrgenommen wird.
Titelbild: © Gernot Muhr