Das Leitprinzip von VAUDE

Kleinstmöglicher Fußabdruck, größtmögliche Lebensqualität


Ausgabe:

04 // Lebenswege

Kategorie:

Special

Autor/in:

©NM / VAUDE

Antje von Dewitz

ist CEO von VAUDE.

vaude.com

Interview:
Michael Girkinger
Helene Zand


Gespräch mit Antje von Dewitz // CEO von VAUDE

Antje von Dewitz ist Geschäftsführerin des Outdoor-Unternehmens VAUDE. 1974 gegründet, führt sie es in zweiter Generation seit 2009 und hat es zu einem nachhaltigen Pionierunternehmen weiterentwickelt. Im Interview erzählt sie, welche Werte sie antreiben, wie sie VAUDE klimaneutral gemacht hat, warum sie sich für das Lieferkettengesetz stark macht und welche Erkenntnisse sie auf ihrem Lebensweg als Unternehmerin gewonnen hat.


Sie haben das Familienunternehmen Vaude von Ihrem Vater übernommen und es zu einem Vorreiter in Sachen Nachhaltigkeit gemacht. Wie sind Sie dazu gekommen, das Unternehmen zu leiten?

Ich bin die zweite Generation in einem Familienunternehmen, da liegt die Option natürlich nahe, irgendwann einzusteigen. Trotzdem war dieser Gedanke lange abstrakt für mich. Meine Leidenschaft war immer schon, den Platz zu finden, wo ich den größten Beitrag leisten kann. Ich war schon früh sensibilisiert auf Missstände. Die Abholzung des Regenwalds oder das Gefälle zwischen Arm und Reich. Ich dachte zuerst, ich würde mich in einer Umwelt- oder Menschenrechtsorganisation engagieren. Während meines Studiums habe ich verschiedene Praktika absolviert, zuletzt auch bei meinem Vater im Unternehmen. Und da wurde mir bewusst, wow, also wenn ich was bewegen will, dann kann ich das als Unternehmerin. Das hat mich total begeistert, die Möglichkeit, in einem Unternehmen selbst etwas zu gestalten und Verantwortung zu übernehmen. Outdoor ist meine Leidenschaft. Daher ist es Privileg für mich, in diesem Bereich arbeiten zu dürfen.

Wenn ich etwas bewegen will, dann kann ich das als Unternehmerin!

Antje von Dewitz

War Nachhaltigkeit bis zu Ihrer Übernahme wichtig oder haben Sie das erst zum großen Thema gemacht?

Wir sind eine Outdoormarke. Das heißt, hier arbeiten viele Leute, die viel draußen sind und die ganz viel »grünes Blut« haben, die einfach wissen, was es zu bewahren gilt. Deshalb war das Thema Nachhaltigkeit bei uns immer schon verankert. Zum Beispiel haben wir schon 1994, also vor 30 Jahren, die erste rückstandslos recycelfähige Kollektion am Start gehabt und ein System aufgebaut, um gebrauchte Ware zurückzunehmen und zu recyceln. Solche Riesenprojekte wurden damals schon gestemmt. Das waren Leuchtturmprojekte, für die allerdings die Zeit noch nicht reif war. 2009 habe ich Nachhaltigkeit in die Unternehmensstrategie aufgenommen und in allen Bereichen systematisch umgesetzt.

© NM / VAUDE

Welche Werte treiben Sie in Ihrem Leben an? 

Bei mir ist das Thema Verantwortung ganz großgeschrieben. Zu wissen, welche Auswirkungen das persönliche Handeln und das Handeln als Unternehmen haben. Da hinzugucken, Transparenz zu schaffen und auch die Tatkraft und den Mut zu haben, etwas zu verändern, wenn es sein muss. Das Leitprinzip von VAUDE ist: der kleinstmögliche Fußabdruck und die größtmögliche Lebensqualität. Das versuche ich auch selbst umzusetzen. Mein Ansporn ist, dazu beizutragen, ein gutes Leben für alle zu ermöglichen. Den Planeten für die nachfolgende Generation zu erhalten, indem man Verantwortung für sein eigenes Handeln übernimmt. 

Wie lässt sich das auf ein Unternehmen übertragen?

Wenn man sich öffnet und sich alles anschaut, auf das ein Unternehmen Auswirkungen hat, kann man sich nicht mehr nur auf Finanzkennzahlen fokussieren. Ich muss mir auch anschauen, welche CO2-Emissionen habe ich, welche Auswirkungen auf Menschenrechte, auf Lieferketten, auf Müllprobleme usw. Dann ergeben sich Zielkonflikte. Dann musst du auch stark sein in dieser ethischen Auseinandersetzung, weil es gibt ja nicht nur Gut und Böse oder schwarz und weiß. Du musst um die beste Lösung ringen in einer hohen Komplexität. Das ist eine anspruchsvolle Disziplin, die müssen Unternehmen erstmal richtig trainieren. 

Wie haben Sie das Ziel erreicht, mit VAUDE klimaneutral zu werden?

Wir sind am Standort Tettnang/Obereisenbach rechnerisch, also mit Kompensation, seit 2011 klimaneutral. Seit 2022 sind wir weltweit bilanziell klimaneutral. Vorgegangen sind wir so, dass wir zuerst einmal alle Emissionen eruiert haben. Wo haben wir die höchsten Verbräuche und mit welchen Maßnahmen kommen wir runter? Maßnahmen waren hier am Standort z. B. die Umstellung auf Ökostrom, Photovoltaik oder der Verzicht auf Papier. Wir haben E-Bikes zum Leihen, dazu Duschen im Unternehmen. Die besten Parkplätze bekommen jene, die Fahrgemeinschaften bilden. Wir haben überall an den Emissionen geschraubt und nach vier Jahren gesagt, okay, jetzt haben wir schon 70 Prozent eingespart. Den Rest kompensieren wir mit My Climate, also in Goldstandard-Projekten. Damit sind wir rechnerisch klimaneutral, arbeiten aber immer weiter an den Emissionen. 

Und genauso sind wir dann weltweit vorgegangen. Seit 2019 machen wir jährlich eine Klimabilanz mit allen unseren Produzenten und Materiallieferanten gemacht. Das war zunächst wirklich aufwendig, die ganzen Emissionen zu erheben. Wir haben zirka 45 Produzenten und 150 Materiallieferanten. Heute läuft es aber richtig gut. Das heißt, die Emissionen werden mit der Rechnung mitüberliefert. So können wir analysieren, wo wir die höchsten Verbräuche haben. Die liegen im Herstellungsprozess. Wir haben schon knapp 90 Prozent der Materialien auf recycelt oder biobasiert umgestellt, um mit dem Ressourcenverbrauch runterzukommen. Und wir unterstützen unsere Produzenten dabei, auf erneuerbare Energien umzustellen oder zumindest Energie zu sparen und von Kohle wegzukommen. Seit 2022 kompensieren wir auch weltweit die Emissionen, die wir aktuell noch nicht vermeiden können. Wir haben dieses Jahr einen Riesenerfolg verbucht. Unsere Klimabilanz hat gezeigt, dass der Umsatz von 2019 bis 2023 um 32 Prozent gewachsen ist, aber die CO2-Emissionen um 30 Prozent gesunken sind.

Sie setzen sich für das Lieferkettengesetz ein, das Umwelt und Menschenrechte in den globalen Lieferketten besser schützen will. Dagegen gibt es starke Widerstände: zu teuer, zu aufwendig, zu bürokratisch. Was sagen Sie dazu?

Zum einen habe ich schon Verständnis für den Widerstand. Wenn man sich noch nicht mit den eigenen Lieferketten beschäftigt hat, dann ist das eine große Aufgabe. Wir haben hier jahrelange Arbeit reingesteckt. In meiner Sicht ist es halt so, dass das einfach dazu gehört. Ich kann ja nicht mitverantwortlich für Schaden sein und sagen: Das ist mir aber jetzt zu aufwendig, das anzugehen. Von daher finde ich es gefährlich, wenn Parteien und Wirtschaftsverbände sagen, das ist nur Bürokratie, ihr müsst euch nicht darum kümmern. Für mich ist das Teil eines zukunftsfähigen Wirtschaftens, eine Zukunftskompetenz, die ich jetzt schon brauche, auch im eigenen Interesse. Wenn Kinderarbeit in meiner Lieferkette auftaucht, schadet das dem Image.

©MAY / VAUDE

Nicht Nachhaltigkeit ist teuer, sondern diese Art des Wirtschaftens, für die andere den Preis zahlen.

Antje von Dewitz

Was man oft hört, wenn es um soziale oder ökologische Standards geht: Wir wollen kein Gold Plating, sprich keine Übererfüllung von Mindeststandards. Das bringe nur Mehrkosten und Wettbewerbsnachteile. Wie sehen Sie das?

Teile ich überhaupt nicht. Momentan unterbieten wir uns in der Weltwirtschaft mit Preisen. Alles noch billiger und noch billiger. Das ist es, was diesen Planeten gerade zerstört. Dass da tatsächlich jemand mit gesundem Menschenverstand sagt, es darf kein nachhaltiges Gold Plating stattfinden! Das ist doch das, wo wir hinmüssen. Dass es nicht nur darum geht, wer den billigsten Preis, sondern darum, wer die besten nachhaltigen Standards hat. 

Die Realität ist ja, dass nicht die Nachhaltigkeit zu teuer ist, sondern dass Unternehmen Schäden anrichten. Nachhaltigkeit bedeutet, für diese Schäden Verantwortung zu tragen. Das heißt, nicht Nachhaltigkeit ist teuer, sondern diese Art des Wirtschaftens, für die andere den Preis zahlen.


VAUDE – Zahlen, Daten & Fakten

Quelle: VAUDE / Grafik designkraft.at
Quelle: VAUDE / Grafik designkraft.at

Sie zeigen mit VAUDE vor, wie Transformation auf unternehmerischer Ebene gelingen kann. Wie gelingt das als Gesellschaft? Man hat den Eindruck, Politik, Konsument:innen und Unternehmen schieben sich abwechselnd die Bälle zu. 

Ja und nein. Also zum einen sehe ich in der Politik wahnsinnig viel Veränderung, vor allem durch die EU-Gesetzgebung, Lieferkettengesetz, Kreislaufwirtschaft usw. Das ist für Unternehmen schon sehr fordernd. Von daher kann ich den Widerstand auch verstehen. Auch was die Konsument:innen angeht, nehme ich das anders wahr. Klar haben wir auch Trends wie Temu und Co. Aber auf der anderen Seite haben wir einen großen Zuspruch zu zirkulären Geschäftsmodellen, z. B. Second Hand oder Reparatur. Wir als VAUDE haben großen Erfolg mit Reparaturangeboten. Das hätte ich nie gedacht, als wir vor 15 Jahren anfingen Ersatzteile oder Reparaturvideos über Online-Plattformen anzubieten. Die Diskussion wird oft zugespitzt geführt: Willst du Wohlstand oder Nachhaltigkeit? Ich glaube, wir müssen aus dieser »Entweder-oder-Geschichte« raus. Auch die Frage, ob die Wirtschaft noch wachsen darf, ist die falsche Frage. Die Frage ist, wie wachsen? Wie definieren wir Lebensqualität? Wie definieren wir unternehmerischen Erfolg? Und da nehme ich schon die Bereitschaft wahr, diesen Weg zu gehen. Widerstand entsteht v. a. durch diese »Entweder-Oder-Geschichten«.

Willst du Wohlstand oder Nachhaltigkeit?

Ich glaube, wir müssen aus dieser »Entweder-oder-Geschichte« raus.

Antje von Dewitz

Die politische Stimmung ist ja momentan eher mies. In Europa geht das Gespenst der Deindustrialisierung um. Teilen Sie die Befürchtungen? 

Ich habe so ein Déjà-vu mit dieser Stimmung. Wir sind auch bei unserem Weg der Transformation durch ein Tal der Tränen gegangen. In den ersten Jahren ist hier auch so eine Schwere eingetreten. Da waren Vision und Ziele noch nicht richtig sichtbar. Da haben wir nur den ganzen Aufwand gesehen. Von daher finde ich diese miese Stimmung zwar ganz furchtbar, weil sie alle nach unten zieht, aber ich glaube, es ist eine Phase, aus der wir wieder herauskommen werden. 

Und nein, ich fürchte nicht um die Zukunft Europas. Wir haben hervorragend ausgebildetes Personal. Wir haben einen guten Wertekanon. Wir haben die Chance, mit einer neuen Definition von Wirtschaft voranzugehen, die unseren Planeten beschützt und nicht ausbeutet. Da müssen wir hinkommen. 

Und wer da voran geht und eine Kompetenz aufbaut, in Technologien, in der Art und Weise, wie man Unternehmen führt, der ist Vorreiter. Wir scheuen uns noch davor und trauern den alten Zeiten nach. Es geht aber nicht weiter wie immer. Wir haben Anfang Mai in Deutschland den World Overshoot Day gehabt. Das heißt, wir haben schon alle Ressourcen verbraucht, die in einem Jahr überhaupt regenerierbar sind. Also bitte alle mal aufwachen und erkennen, so geht es einfach nicht weiter. An der guten alten Zeit festhalten zu wollen, ist zwar verständlich, aber hinderlich. 

© Moritz Altenberger / VAUDE

Sie sind eine bekannte und erfolgreiche Unternehmerin. Welchen Ratschlag können Sie Frauen mitgeben, die ihren Weg als Unternehmerin gehen wollen?

Erstmal würde ich sagen, wir haben viel zu wenig Unternehmerinnen. Gemischte Teams in den Unternehmen zu haben, erlebe ich als sehr bereichernd und erfolgreich fürs Unternehmen. Oftmals sind es immer noch Männerrunden. Und da besteht natürlich für die Frauen die Gefahr, sich anzupassen und den Draht zu sich selbst und der eigenen Perspektive zu verlieren. Das sollte man sich erhalten und seinen eigenen Weg finden. Ohne in Klischees verfallen zu wollen, aber das, was die Welt da draußen braucht, ist oftmals das, was Frauen zugeschrieben wird. Eine gute Kommunikation, eine hohe Empathiefähigkeit. 

Welche Krisen und Neuanfänge haben Sie erlebt und welche Erkenntnisse haben Sie daraus gewonnen? 

In der Coronakrise sind uns die Umsätze von einem Tag auf den anderen komplett weggebrochen. Was in dieser Situation wirklich schön war, war zu erkennen, dass wir durch die Art und Weise, wie wir wirtschaften, sehr resilient aufgestellt sind. Wir waren bereits vertraut mit den digitalen Technologien für das Homeoffice. Wir haben eine starke Unternehmenskultur, da ist intern schnell der Wille erwacht: Wie kommen wir durch die Krise, wie segeln wir hier durch, wie können wir zusammenhalten? Und das Gleiche haben wir mit unseren Partnern in den Lieferketten erlebt. Wir haben sie jahrelang unterstützt, um mit uns diesen Weg der Transformation zu gehen. Als wir die Waren nicht mehr gleich abnehmen konnten, weil keine Nachfrage mehr da war, sind sie uns entgegengekommen. Gemeinsam haben wir Wege gefunden, uns gut aufzustellen. Ein paar Monate später hatten wir eine enorme Nachfrage und konnten dann wieder schnell liefern, weil wir eben nicht wie viele andere Unternehmen einfach alles storniert hatten. 

Was für mich immer wieder schön zu sehen ist: nachhaltiges Wirtschaften basiert auf starken Partnerschaften und einer starken Kultur. Und das macht unheimlich resilient. Wir mussten in diesem Jahr beispielswiese deutlich einsparen, um die Kostenstruktur nach dem starken Wachstum in den Coronajahren wieder zurechtzurücken. Viele Mitarbeiter:innen nahmen kostenlos Urlaub oder haben die Elternzeit nachgeholt. Alle haben konstruktiv beigetragen, wo können wir einsparen, auf was können wir verzichten können. Das war überwältigend, was da von allen aus dem Unternehmen kam. Das stellt uns einfach super stark auf.


Buchtipp:

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Hintergrund: © gettyimages / Tendo23 · Buchtitel: © Benevento

Antje von Dewitz

ist Geschäftsführerin der Outdoormarke VAUDE. Nach ihrem Studium der Wirtschafts- und Kulturraumstudien an der Universität Passau war sie bei Vaude zunächst als Produktmanagerin, später als Verantwortliche für die Kommunikation tätig. Von 2002 bis 2005 promovierte sie und arbeitete am Stiftungslehrstuhl Entrepreneurship der Universität Hohenheim. 2009 übernahm sie die Geschäftsführung von ihrem Vater Albrecht von Dewitz. Seit 2021 Mitglied im Vorstand des Bundesverbandes nachhaltige Wirtschaft. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder.

VAUDE

ist ein deutscher Produzent von Outdoor-Bekleidung. Der Stammsitz befindet sich im baden-württembergischen Tettnang-Obereisenbach. Das Unternehmen wurde 1974 von Albrecht von Dewitz gegründet. Er benannte es nach seinen Initialen v. D. (sprich [fau´de]). Im Jahr 2009 übergab er die Geschäftsführung an seine Tochter Antje. Das Unternehmen befindet sich zu 100 Prozent in Familienbesitz. Im November 2023 wurde Vaude mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis als nachhaltigstes Textilunternehmen Deutschlands ausgezeichnet.


Titelbild: Moritz Altenberger / VAUDE

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