»Aber das fossile System!«

Zwischen Schuldindividualisierung und Verantwortungsverweigerung


Ausgabe:

04 // Lebenswege

Kategorie:

Kritisch betrachtet

Autor:

©Tzvanopolous

Thomas Brudermann

ist Psychologe und Professor für Nachhaltigkeitsforschung an der Universität Graz.

brudermann.com


Fast alle Menschen wünschen sich eine intakte Umwelt und ein stabiles Klima ohne gröbere Naturkatastrophen. In kollektiv gelebten Lebensstilen spiegelt sich dieser Wunsch jedoch kaum wider: Wir fliegen, fahren und feiern uns in die Klimakatastrophe. Um das Ruder herumzureißen, braucht es großflächige strukturelle Veränderungen. Sind wir damit als einzelne Personen oder Unternehmen fein raus und können unsere Bemühungen sein lassen? Nein. Denn so einfach ist die Sache auch wieder nicht. 

Der »böse« ökologische Fußabdruck

Lange hat der ökologische Fußabdruck die Diskussion rund um Klimaneutralität dominiert. Mit Rechnern im Internet können Interessierte ihren persönlichen Einfluss auf das Weltklima berechnen, der sich aus Faktoren wie Mobilität, Ernährung und Lebensstilen ergibt. Das Ergebnis ist stets ein ernüchterndes: Selbst als veganer, autoloser Öko mit Balkonurlauben ist man am Ende durch seine bloße Existenz ein fleischgewordener Klimaschaden. Es bleibt die bittere und dennoch wichtige Erkenntnis: Innerhalb eines fossilen Systems ist Nachhaltigkeit nicht möglich. Das erzeugt Frustration, und die dabei empfundene Hilflosigkeit ist Gift für jegliche Klimaschutz-Motivation. 

Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass ausgerechnet die Mineralölfirma BP die Idee mit dem ökologischen Fußabdruck lange propagiert hat: Vielleicht, um den schwarzen Peter an die umweltbewussten Konsument:innen weiterzuspielen, die dann resigniert aufgeben. Von dieser Seite kommt nun zunehmend Widerstand: Der ökologische Fußabdruck bediene die Schuldindividualisierung, und das sei abzulehnen, lautet ein gängiges Narrativ. Also: »Das System muss sich ändern, nicht ich!« So weit, so verständlich. 

Die Diskussion über klimaschädliche Praktiken legt gerade bei problembewussten Menschen den Finger in die Wunde, die sich mit Veränderungen aus verschiedenen Gründen schwertun. 

»Das Fliegen gehört für mich einfach dazu« hört man dann, oder »was sollen wir kleines Unternehmen schon machen?«. Das fossile System ist am Ende also sogar für etwas gut: Es erspart einem die schmerzhafte Auseinandersetzung mit der eigenen Klimawirkung und anstrengenden Verhaltensänderungen. Solange das System so ist wie es ist, seien Einzelbemühungen völlig sinnlos, hört man. 

Eine Mammutaufgabe wie die Klimarettung ist natürlich eine ziemlich große Bürde für Einzelpersonen oder Unternehmen. Die sogenannte Schuldindividualisierung verzögert daher effektiven Klimaschutz. Dem System die Schuld zu geben – also sich auf kollektiv gelebte Strukturen rauszureden und jegliche Mitverantwortung abzulehnen – verzögert Klimaschutzbemühungen aber ebenfalls. 

Rechtfertigungen gemäß der Logik »ich ändere sicher nichts, solange sich am System nichts ändert« sind trotzdem verlockend. Es ist bequem, auf jene strukturellen Änderungen zu warten, die von einem Tag auf den anderen den Schalter auf Klimafreundlichkeit umlegen. Leider funktionieren gesellschaftliche Prozesse aber nicht so. 

Vom Fußabdruck zum Handabdruck

Strukturen und Systeme sind nicht statisch. Bei aller Trägheit sind sie dennoch das Ergebnis individueller und kollektiver Entscheidungen. Hier setzt das Konzept des ökologischen Handabdrucks an: Es geht darum, nicht nur seine eigene Klimawirkung zu verbessern, sondern dabei auch noch andere mitzunehmen: Das Problem Klimawandel also gemeinsam und nicht alleine anzugehen. Weg von individueller Schuld, hin zu gemeinsam wahrgenommener Verantwortung. 

Diese Idee steht nicht im Gegensatz zum ökologischen Fußabdruck, sondern denkt ihn weiter: Strukturen hängen zwar an politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, sie formen sich aber auch aus individuellen und gemeinsamen Alltagsentscheidungen. Zwei einfache Beispiele: Hätte nie jemand angefangen, in Städten Rad zu fahren, dann gäbe es auch keine Radwege. Hätte nie jemand mit pflanzlicher Ernährung angefangen, gäbe es nicht so viele Veggie-Restaurants. Wege entstehen, indem man sie geht. 

Die individuellen Beiträge sind auch hinsichtlich ihrer Vorzeigewirkung wichtig. Wenn es um Veränderung geht, können wir Menschen erstaunlich phantasielos sein: Dinge wie autofreie Städte, köstliche vegane Ernährung oder das klimaschonende Heizsystem erscheinen schwer vorstellbar, bis sie durch das eigene Erleben oder eben durch das Beobachten bei anderen greifbar werden. Die Skepsis gegenüber Unbekanntem ist eine aus evolutionärer Sicht sinnvolle Strategie. Erst wenn ich mit eigenen Augen sehe, wie andere etwas ausprobieren (und es überleben), sinkt die Scheu und steigt die Akzeptanz. 

Aus diesem Grund ist der klimafreundliche Lebensstil ein essenzieller Beitrag zum Aufbrechen bestehender Muster. Sich für Klimaschutz auszusprechen, dem aber keine Taten im eigenen Wirkungsbereich folgen zu lassen, verfestigt hingegen den Status quo und wirkt überdies nicht besonders glaubwürdig. Zum ökologischen Handabdruck gehören auch politisches Engagement, die Teilnahme am Diskurs im Großen und Kleinen, und das ständige In-die-Pflicht nehmen von Akteur:innen aus Politik und Wirtschaft. Es stellt sich also die Frage: Was können unsere Beiträge sein – und wie nehmen wir andere dabei mit?


Buchtipp

#weilsowichtigist


Titelbild: © gettyimages / seroma72

Powered by GRÜNE WIRTSCHAFT.at Newsletter registrieren » Mitglied werden » Kontaktieren »