Was der Autor Oliver Burkeman auf seiner Reise durch die Welt der Ratgeber mitgenommen hat
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Michael Girkinger
arbeitet für die Grüne Wirtschaft im Bereich Politische Koordination & PR
Oliver Burkeman ist preisgekrönter Sachbuchautor und Journalist. Er hat sich viele Jahre kritisch mit der populären Lebenshilfe auseinandergesetzt. In seiner letzten Kolumne für den Guardian hat er zusammengefasst, was er auf seiner Reise gelernt hat.
Lebenshilfe boomt. Überall Tipps und Anleitungen, wie wir uns oder etwas in unserem Leben verbessern können. Es scheint nichts zu geben, was nicht »trainiert« oder »visualisiert« werden kann. So viele Erkenntnisse und inspirierende Gedanken, nur leider sehen wir immer wieder, wie schwer es ist, sie mit Leben zu füllen, in den Alltag zu ziehen. Wir erkennen das besonders, wenn es um unser Glück geht. »Das müsste doch zu managen sein …«
Oliver Burkeman ist überzeugt: Wir verschwenden so viel Energie mit dem sinnlosen Versuch, die Kontrolle zu behalten und unangenehme Gefühle zu vermeiden. Und erreichen damit oft genau das Gegenteil: Etwas fühlt sich noch schlimmer an, weil nicht nur was falsch läuft, sondern weil wir auch noch falsch denken. Im Interview mit der »Zeit« sagt er: »Ich bin mir nicht sicher, ob ich an meinem Lebensende wirklich sagen will, dass ich glücklich war – oder ob ich nicht viel lieber sagen würde, dass ich präsent war, dass ich viel mitgekriegt habe, etwas bewirkt habe. Der Mythologe und Publizist Joseph Campell sagte einmal, dass Menschen nicht nach dem Sinn des Lebens suchen – sie suchen nach Lebendigkeit. Vom Glück sprach er nicht.« Nun aber zu den acht »Geheimnissen« eines ziemlich erfüllten Lebens:
1 Es wird immer zu viel zu tun geben – diese Erkenntnis ist befreiend.
Heute gibt es mehr denn je einen riesen Gap zwischen dem, was wir machen wollen oder sollten, und unserer verfügbaren Zeit. Dank Kapitalismus, Technologie und menschlichem Ehrgeiz steigen die Anforderungen. Unsere Kapazität, etwas umzusetzen, ist aber weitgehend fixiert. Wir müssen daher auswählen, was wir vernachlässigen, um unsere Wahrnehmung dorthin zu lenken, was uns besonders wichtig ist.
2 Wenn du vor einer Lebensentscheidung stehst und unsicher bist, wähle »Erweiterung« statt Glück.
Frage dich bei großen persönlichen Entscheidungen nicht: Wird mich das glücklich machen? Vielmehr: Wird mich diese Entscheidung vergrößern oder verkleinern? Ob es um einen Job oder eine Beziehung geht, wir würden oft intuitiv wissen, ob z. B. bleiben oder gehen besser ist, wenn wir uns die »Erweiterungsfrage« stellen. Falsch wäre es, uns für einen kurzfristigen Komfort um die Chance auf Wachstum zu betrügen.
3 Die Fähigkeit, kleinere Unannehmlichkeiten auszuhalten, ist eine Superpower.
Viel zu oft im Leben vermeiden wir unangenehme Situationen, ob es sich um ein forderndes Arbeitsprojekt oder um ein schwieriges Gespräch mit Kolleg:innen handelt. Das kann Jahre so gehen. Ein Grund, warum Social Media Plattformen so beliebt sind: Wenn es anstrengend wird oder wir uns konzentrieren müssen, neigen wir dazu, uns abzulenken und in die bequemere digitale Welt zu switchen. Genauso wie wir im Fitness Studio unseren Körper trainieren, sollten wir unsere Fähigkeit steigern, Unannehmlichkeiten auszuhalten. Du profitierst schnell davon.
4 Der Rat, den du nicht hören willst, ist üblicherweise der, den du brauchst.
Es ist kein Vergnügen, sich mit emotionalen Erfahrungen zu konfrontieren, die man zu vermeiden versucht. Was helfen könnte, wird sich wahrscheinlich unangenehm anfühlen. Eine Frage, die du dir selbst stellen kannst, ist, welche Praktiken dir besonders peinlich und blöd vorkommen. Es könnte sein, dass es einen Versuch wert ist, sie auszuprobieren.
5 Die Zukunft wird dir nie die Sicherheit bieten, die du gerne hättest.
Wie schon die antiken Philosophen erklärten, entsteht viel von unserem Leiden durch unseren Versuch zu kontrollieren, was nicht in unserer Kontrolle ist. Wir versuchen das besonders, wenn es um unsere Zukunft geht. Wir wollen sicher gehen, dass sich die Dinge gut entwickeln. Aber wir können es nicht wissen. Es ist trotzdem sinnvoll, Pläne zu machen. Wir sollten uns nur bewusst sein, ohne uns zu ängstigen, dass sie nur unsere gegenwärtigen Absichten widerspiegeln. Sie bieten keine Sicherheit, dass die Zukunft sein wird, wie wir uns erhoffen.
6 Die Lösung des Hochstapler-Syndroms: Erkenne, dass du selbst eine/r bist.
Es ist hilfreich, sich immer wieder zu erinnern, dass alle sich durchs Leben »improvisieren«. Heißt umgekehrt: Du kannst auf deinem Gebiet potentiell genauso viel beitragen wie jede/r andere. Vergiss nicht: Nur weil du die inneren Selbstzweifel der Anderen nicht hörst, heißt das nicht, dass sie diese nicht haben. Du hörst nur deinen eigenen inneren Monolog. Die Menschheit ist in zwei Teile geteilt: Es gibt die, die durchs Leben gehen, Lösungen improvisieren, Feuer löschen und so tun, als hätten sie immer einen Plan. Die andere Hälfte macht genau dasselbe und weiß es, dass sie sich nur »durchwurstelt«.
7 Uneigennützigkeit wird überschätzt.
Besonders Frauen werden im Glauben erzogen, ein gutes Leben bedeutet, anderen zu helfen. Das ist nicht falsch, aber es liegen auch tiefsitzende Schuld- oder Selbstwertthemen in diesem Denken (neben Egobooster-Strategien, die damit gerne verbunden werden). Wenn du denkst, du solltest mehr helfen, dann ist das wahrscheinlich ein Zeichen, dass du es dir leisten kannst, mehr Energie darauf zu richten, was dich begeistert und wo es dich hinzieht. Öfter als du denkst, wärmst du mit deinem inneren Feuer auch andere in deiner Umgebung.
8 Merke, wann es Zeit ist weiterzugehen.
Auch wenn dir etwas viel bedeutet hat, irgendwann kommt alles zu einem natürlichen Ende. Es ist wichtig, diesen Punkt nicht zu übersehen, um nicht zu versäumen, was als nächstes auf dich wartet.
Für Oliver Burkeman war diese letzte Kolumne im »Guardian« so ein Endpunkt. Was von seinen Gedanken teilst du, was nicht?
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Titelbild / Porträt: Barbara Wimmer